17) Die Seele der Welt, der Körper der Erde und unser Klima

Wir Menschen brauchen Nahrung, Wasser und Luft, Wärme und Raum; aber mehr als alles andere brauchen wir Sinn und Bedeutung. Wenn wir in unserem Leben weder Sinn noch Bedeutung finden, dann erscheint es uns nicht lebenswert, auch wenn wir noch so viel Nahrung, Wasser und Luft zur Verfügung haben. Andererseits ist es uns auf diesem Planeten und in einem menschlichen Körper erst möglich, Sinn und Bedeutung wirklich zu ergründen und uns darin einzurichten, wenn unsere physischen Grundbedürfnisse einigermaßen gedeckt sind. Das mag für jeden Menschen etwas anderes heißen – ein Yogi im Himalaya lebt vielleicht in einer Höhle und verzehrt eine Handvoll Reis am Tag, während ein durchschnittlicher Arbeitnehmer geregelte, abwechslungsreiche Mahlzeiten braucht, außerdem eine sichere Wohnung und ein Gefährt, was ihn zum Arbeitsplatz bringt. Was wir brauchen, hängt sehr von unseren Ansprüchen und nicht zuletzt von dem ab, was wir im Leben als sinnvoll und erstrebenswert erachten.

Die Suche nach Sinn und Bedeutung kann uns lehren, dass die Ereignisse und Situationen, die wir in unserer physischen Wirklichkeit antreffen, ihren Ursprung in einer tieferen Ordnung der Gesamtwirklichkeit haben. Die australischen Ureinwohner sprachen von ihr als „Traumzeit“; im Tantra nennen wir sie auch tala – dieses Wort ist ein Ausdruck für den Bereich, der sich „hinter“ den Dingen befindet, es ist aber auch ein Name Śivas, des göttlichen Bewusstseins. Vom Blickpunkt dieser Ebene her erkennen wir, dass wir niemals auf den Körper oder auf die Newton’schen Gesetze begrenzt sind, außer durch einen Mangel an (spiritueller) Imaginationskraft.

Hinter den Dingen befindet sich eine tiefere Wirklichkeit, die das Geschehen in allen Welten ordnet.

Es haben also auch solche Ereignisse ihren Ursprung in der hinter den sichtbaren Dingen liegenden Wirklichkeit, die uns nicht unmittelbar betreffen oder die so selbstverständlich erscheinen, dass wir sie in unserer Suche nach Sinn gar nicht adressieren würden.

Was das Klima und den darauf bezogenen derzeitigen – in vielerlei Hinsicht sehr positiv zu sehenden – Aufbruch weiter Teile der Menschheit angeht, so möchte ich meinem Kommentar einen wichtigen Gedanken vorwegschicken: Solange wir nicht über das volle Spektrum des Wissens verfügen, wird das volle Spektrum des Seins verhüllt bleiben. Mit dem vollen Spektrum des Wissens meine ich nicht nur all die Inhalte, die zurzeit durch eine Menge sogenannter Fakten aus wissenschaftlichen, populärwissenschaftlichen und esoterischen Quellen erhoben werden, sondern auch die, die bisher noch unerforscht sind und natürlich jene, zu denen wir mit unserem Alltagsgeist überhaupt keinen Zugang haben, wie ich oben schrieb.

Über die Inhalte hinaus beinhaltet das volle Spektrum des Wissens aber auch Wissen um die Struktur unseres persönlichen und überpersönlichen Bewusstseins, über die Seele der Welt. In uns als Menschen ist es diese Struktur, die das Wissen – mehr oder weniger unbewusst – in uns ordnet und daher dafür sorgt, dass wir bestimmte Inhalte annehmen und andere eben nicht. Diese Struktur ist weitgehend in unserer Sprache immanent; wir erwerben sie auf der persönlichen Ebene in der Zeit unserer Adoleszenz. Auf der überpersönlichen Ebene erwerben wir sie durch spirituelle Erfahrungen aus dem Bereich des kollektiven Unter- und Überbewussten. Solcher Erfahrungen sind sich wenige Menschen gewahr, aber wenn sie es je waren, dann – so hat die Geschichte großer Denker wie Albert Einstein, Marie Curie, Johann Wolfgang von Goethe und Rudolf Steiner, um nur wenige zu nennen, gezeigt – waren sie von Grund auf verwandelt und ihre Arbeiten bezogen fortan andere Ebenen ein.

Solange uns also weder das volle Spektrum des Wissens noch das volle Spektrum des Seins zur Verfügung stehen, wird es uns auch an einer umfassenden Weltsicht mangeln. Die meisten Menschen, die diesen Mangel einräumen müssen, werden glauben, ihnen bleibe nichts anderes übrig als das Handeln im Bereich der Kausalität. Für das Klima heißt das: Wir haben zu viel CO² ausgestoßen, daher ist das Klima und insofern auch das Überleben der Menschheit in Gefahr; nun müssen wir den Ausstoß von CO² drastisch drosseln, damit wir das Überleben auch für zukünftige Generationen sichern können.

Erst wenn wir über das volle Spektrum des Wissens verfügen, können wir anfangen, über die Kausalität hinaus zu handeln.

Diese Aussage beinhaltet wunderschöne Anteile. Sie zeigt, dass viele Menschen nicht mehr wegsehen und bereit sind, sich die unbedachten Seiten unseres bisherigen Verhaltens anzusehen. Zum Zweiten zeigt sie die Bereitwilligkeit, das zu ändern, was ich – auch im Hinblick auf das Inbetrachtziehen zukünftiger Generationen – für einen Akt der Liebe halte.

Es ist aber eine Aussage, die nur in kausale Bereiche hineinreicht und daher viel zu kurz greift. Ein Drittel unseres Wesens in allen Weltebenen besteht aus Handeln. Ein weiteres Drittel besteht aus dem bereits angesprochenen Wissen; hier ist aber kein Faktenwissen gemeint, denn dieses gehört zur kausalen und damit zur Handlungsebene. Das eigentliche Wissen ist Wissen höherer Ebenen, auf denen Sinn und Bedeutung zu finden sind. Dies sind die Weisheitsebenen unseres Lebens. Wenn sie nicht einbezogen werden, können wir handeln, bis wir vor Erschöpfung umfallen und werden doch nur einen minimalen Bruchteil dessen erwirken, was wir erwirken könnten, würden wir das zweite Drittel einbeziehen. Kausales Wissen ist horizontal, während wir das Weisheits-Wissen als vertikal bezeichnen. Das dritte Drittel besteht aus Willen, aus Liebe. Hier ist keine esoterische Sehnsucht nach einer besseren Welt gemeint und auch kein naives sogenanntes religiöses Verhalten, das sich meistens in der Aussage erschöpft, Gott – oder „Mutter Erde“ – würde „es schon richten“. Da Gott keine anderen Hände hat als die unseren, dürfen sich Menschen, die zu solchen Aussagen neigen, gern den Vorwurf der Bequemlichkeit gefallen lassen.

Wahrer Wille ist dasselbe wie Liebe – diese Übereinstimmung zeigen uns übrigens die romanischen Sprachen sehr deutlich, die alle aus einer der drei heiligen Sprachen dieses Planeten stammen, dem Lateinischen – und er beruht auf tiefer Einsicht in die göttlichen Impulse der Schöpfung. Da sich dieses Drittel den allermeisten Menschen zurzeit leider noch entzieht und es einen langen Weg braucht, um hiermit in Identität sein zu können, gibt es die Kraft der „Volition“, das ist etwas mehr als Motivation; es ist die Fähigkeit, mit der wir unsere Gedanken, unsere Aufmerksamkeit, unsere Emotionen und Aktionen auf das Wesentliche lenken und somit bei der Umsetzung von Motiven und Absichten in Resultate einen großen Wirkungsgrad erzielen können. Motivation erklärt, wie unsere Handlungsbereitschaft, unser Antrieb entsteht und Volition erklärt, wie dieser Antrieb in Ergebnisse umgesetzt wird.

Das volle Spektrum des Wissens beinhaltet das Wissen um die Fakten, um Inhalte und Struktur von Persönlichem und Überpersönlichem, um den Willen der Schöpfung und die Liebe zum Sein.

Das erste Drittel zeigt sich uns, wie Ken Wilber es einmal so treffend schrieb, durch das „Auge des Fleisches“ (das heißt durch Sinneswahrnehmung); das zweite Drittel erkennen wir durch das „Auge der Vernunft“ (damit ist höhere Einsicht im Sinne spiritueller Erkenntnis gemeint und nicht etwa der Verstand) und das dritte Drittel sehen wir nur mit dem „Auge der Kontemplation“. Jedes dieser Augen sieht eine andere Welt. Die physische Welt, die Welt von Ordnung, Logik und spiritueller Philosophie und die Welt der mystischen Ebenen der Klarsicht sind zwar alle miteinander verwoben, zeigen aber völlig verschiedene Informationen. Um in anderen Weltebenen sehen zu können, reicht es nicht, wenn wir das Auge des Fleisches ausdehnen und uns Faktenwissen darüber aneignen; wir müssen unsere Art zu sehen ändern.

Die meisten Menschen, die sich heute mit dem Zustand der Erde und ihres Klimas auseinandersetzen, haben noch nie in Erwägung gezogen, dass es nicht nur Möglichkeiten gibt, auf den Ebenen jenseits der physischen Wirklichkeit klar zu sehen und effektiv zu agieren, sondern dass es auch eine deutliche Forderung danach gibt! Um etwas auf der Erde und im kollektiven Leben verändern zu können, müssen wir zunächst einmal uns selbst verändern – wir müssen bereit sein, unsere Definition von Wirklichkeit über den Haufen zu werfen, aus der kausalen Maschinerie aussteigen und die menschlichen Möglichkeiten entdecken, die es darüber hinaus gibt, ohne die Handlungsebene dabei außer Acht zu lassen. Wir alle verfügen über Wissen und Einsichten, die uns gehörten, bevor wir diese Lebenszeit begannen. Dieses Wissen und diese Einsichten sind noch hier. Warum nutzen wir sie nicht? Denn lange, bevor wir etwas in unserem physischen Leben erfahren, haben wir es schon geträumt. Es fällt uns zu, wenn das Universum persönlich wird, und durch Synchronizität zu navigieren ist der spirituelle Weg, die Straßen des sogenannten Alltagslebens zu bereisen.

Die derzeitigen Veränderungen im Klima der Erde sowie die Bestrebungen des Planeten, sich zu wehren – durch Überflutungen, Stürme, Vulkanausbrüche und so weiter – sprechen die Sprache einer Forderung unserer eigenen größeren Seele.

„Klima“ ist ein Wort, das nicht nur für die Erde als physische Gegebenheit zutrifft. Es trifft auch für die Erde als lebendiges Wesen zu, die eine Seele hat. Und es trifft auf jede emotionale Ebene zu, über die wir uns gewahr sind. Sprechen wir nicht davon, dass das „Büroklima“ gestört ist? Damit meinen wir sicher nicht, dass unsere Schreibtische von Wasserfluten heimgesucht werden. Haben wir nicht alle schon einmal über unser „Beziehungsklima“ geklagt? Das hatte sicher nicht damit zu tun, dass wir von Dürreperioden geplagt wurden, sondern bezog sich natürlich auf das interpersonelle Geschehen, das möglicherweise gestört war. Haben wir nun lediglich und ausschließlich versucht, auf der Handlungsebene zu agieren, indem wir altes Verhalten wegzulassen und es durch neues Verhalten zu ersetzen versuchten – wie lange hat das gehalten? Wie lange hat es gedauert, bis sich das alte Verhalten wieder eingestellt hat? Seien wir ehrlich: Ein wirklich verändertes Verhalten kann sich nur dann einstellen, wenn es eine deutliche Erkenntnis gibt, die so tiefgreifend ist, dass sich die Strukturen in unserem Geist verändern und nicht nur die Inhalte. Und eine solche Einsicht kommt nicht durch Faktenvergleich zustande. Verhaltenstherapie hält nur so lange vor, bis eine Herausforderung die intellektuelle Schicht zerstört, die das Ergebnis einer reinen Fakteneinsicht war. Eine echte, verändernde Einsicht geht immer mit einer tiefen inneren, energetischen Veränderung einher, die in einem Bereich wurzelt, der nicht mit dem Verstand erreichbar ist.

Was ist hier denn wirklich gestört? Ist es tatsächlich nur das äußere Klima? Oder wird hier nicht auf der kollektiven Ebene der Menschheit eine viel tiefere Störung angezeigt, die – vielleicht auch gerade durch die viele und oft aggressive Arbeit im Außen – übersehen und übertüncht wird?

Ich bin der Ansicht, dass es zurzeit nichts Wichtigeres gibt – und zwar für die Seele der Welt ebenso wie für den Körper der Erde und für unser (persönliches und ökologisches) Klima – als das menschliche Bewusstsein zu erheben und zu erweitern. Wir haben die Werkzeuge und Technologien in den Händen, mit denen wir diese Welt in ein Paradies verwandeln oder sie zu einer Hölle verkommen lassen können, aber es sind Bewusstseinstechnologien. Mit anderen Worten: Wir haben einen Punkt erreicht, an dem unsere Intelligenz und unsere Fähigkeiten gegen uns arbeiten werden, wenn wir das menschliche Bewusstsein nicht erheben und erweitern.

Es gibt für die Seele der Welt, für den Körper der Erde und für uns als Gesellschaft und als Individuen nichts Wichtigeres, als das Bewusstsein zu erheben und zu erweitern.

Es sind nicht unbedingt die ungebildeten Menschen, die das Leben auf diesem Planeten bedrohen; es sind jene, die gebildet und technologisch in der Lage sind, ganze Zivilisationen mit einem Knopfdruck auszulöschen. Wir haben eine ökonomische Maschinerie, die wir immer verzweifelter noch zu beschleunigen versuchen. Diese Maschinerie heißt Zerstörung. Jene, die sie wachsen lassen wie ein Krebsgeschwür, sind in einer Zwangsbewegung begriffen, die sie nicht stoppen können. Diese Bewegung kommt nicht aus der Seele der Welt. All dies ist entstanden, weil wir nur das eine Drittel haben wachsen lassen, das nach außen schaut, weil wir unseren Intellekt auf Kosten unseres Inneren entwickelt haben. Wir haben den Fehler gemacht zu glauben, dass der Intellekt gleichbedeutend sei mit unserem gesamten Bewusstsein. Diesen Fehler müssen wir korrigieren.

Es ist vor allem diesem Fehler und dem daraus erwachsenen Kampf auf der Fakten-Ebene zuzuschreiben, dass sogar unsere Reaktion auf die momentane Klimakrise (die übrigens schon vor 100 Jahren von Rudolf Steiner kommentiert wurde!) zu einem großen Teil genau derselben Denkweise entspringt, die das Ungleichgewicht überhaupt erst verursacht hat, nämlich der Überzeugung, dass wir von der Seele der Welt und dem Körper der Erde getrennt seien, dass es eine Welt „da draußen“ gebe, mit der wir lange Zeit nichts zu tun hatten und die wir nun retten müssen, dass es eine Erde als „Umwelt“ gebe, die wir zerstört haben und die wir nun ebenfalls retten müssen.

Vor vielen Jahren habe ich in einem schamanischen Seminar von meinem Lehrer einmal die Aufgabe bekommen, etwas für die Natur zu tun. Er schickte mich hinaus und ich fragte den Geist der Bäume, was ich tun könnte. Die Bäume antworteten sehr eindeutig. Sie sagten: „Kenne uns und liebe uns! Wenn du uns kennst und uns liebst, dann wirst du genau wissen, was du uns antun möchtest und was nicht. Dann wirst du sehr achtsam sein und nicht bedenkenlos mit uns umgehen. Du wirst dich fragen, ob deine Handlungen negative Konsequenzen für uns haben, du wirst erkennen, dass wir alle zu einem Organismus gehören.“

Hilft es der Welt und der Erde, wenn wir uns klar machen, dass diese ganze Krise bereits begann, als wir Gott in den Himmel oder die Götter auf den Olymp verbannten? Hilft es uns zu sehen, dass diese Erde für indigene Kulturen der Ausdruck des Heiligen war? Müssen wir zuerst etwas auf mittlerweile pervertierte Weise heiligsprechen, damit es genug wert ist, dass wir uns darum kümmern? Es zu lieben, wie die Bäume es mir sagten, ist das genug?

Um hinter die Dinge sehen zu können und zu wissen, was zu tun ist, müssen wir Wege beschreiten, auf denen wir die Seele der Welt und unsere Erde wirklich kennenlernen.

„Wisse“, sagten sie, „aber du kannst nur wissen, wenn du kennst und liebst.“ Wie ich oben schon schrieb, ist Liebe dasselbe wie Willen. Es muss unser Impuls sein, den Willen zu wirklicher Erkenntnis zu haben, nicht nur für ein Handlungswissen, das reagiert, sondern für die beiden Drittel, die wir bisher ausschlossen. Wenn wir diesen Willen wahrhaft haben, dann erweitern wir nicht nur unser Bewusstsein, sondern wir werden erkennen, dass wir ein Teil der Seele der Welt sind, ein Teil des Körpers der Erde, dass das Klima hier UNSER Klima ist, wovon wir eine Winzigkeit in unseren kleinen Menschenkörpern tragen. Kennen wir denn unsere Erde? Oder haben wir sie bisher nur benutzt, um auf ihr zu leben? Können wir noch ebenso mit ihr kommunizieren, wie unsere Vorfahren das taten?

Wie können wir zu einem solchen Wissen gelangen? „Um an einem Ort ankommen zu können, den wir noch nicht kennen, müssen wir Wege beschreiten, die wir nicht kennen“, sagte der Heilige Johannes vom Kreuz. Ein solcher Weg wurde uns sogar von der Quantenphysik aufgezeigt. Diese Wissenschaft ist in mehrerer Hinsicht mit der Entwicklung des Bewusstseins verknüpft, was auch seit Albert Einstein und Max Planck immer mehr Anerkennung findet, während man den Mystikern dieser Erde noch nie viel Gehör schenkte.

Der Züricher Psychologieprofessor Norbert Bischof hat in einer grundlegenden Untersuchung über das Kraftfeld der Mythen (Piper-Verlag, München 1996) die Beziehung zwischen wissenschaftlicher und mythologischer – also auch spiritueller – Weltanschauung analysiert. Die fundamentalistische Grundhaltung geht demnach davon aus, dass für den Fall, in dem sich mythische und wissenschaftliche Theorien widersprechen, das wissenschaftliche Weltbild „irre“ und das mythische wahr sei. Denn Wissenschaft entspringe dem fehlbaren menschlichen Intellekt, die mythische Aussage dagegen beruhe auf übernatürlicher Offenbarung.

Im Gegensatz dazu bevorzugt die aufklärerische Orientierung die wissenschaftliche Perspektive, denn die mythische Weltdeutung könne nur als naive Vorform der wissenschaftlichen Welterklärung verstanden werden. Die romantische Grundhaltung vertritt eine vermittelnde Position, da sie davon ausgeht, dass Wissenschaft und Mythos von verschiedenen Dingen reden und sich daher nicht widersprechen. Beide sprechen eine dem jeweiligen Inhalt angemessene optimale Sprache. Ihre Verschiedenheit betreffe zwei unvereinbare, aber einander ergänzende Weisen, die Welt zu erfahren: den Weg der „äußeren“ und den der „inneren“ Erfahrung. Der eine wird beschritten, wenn man die Natur intellektuell analysiert, der andere, wenn man sich von ihr gefühlsmäßig ergreifen lässt.

Als letzte Epoche analysiert Bischof den postmodernen Ansatz, der davon ausgeht, dass mythische Aussagen und wissenschaftliche Theorien nur scheinbar von verschiedenen Inhalten reden. Eigentlich sei der Kosmos eine Einheit und die Scheidung in eine „innere“ und „äußere“ Erfahrung künstlich. Wo Wissenschaft und Mythos einander widersprechen, sei das Mythische wahr, weil die klassische Wissenschaft in Kategorien denke, die der Natur nicht wirklich angemessen seien – Lebensenergie lässt sich nicht rational erfassen.

Mythologische Weltanschauung ist wahr, weil sie der Natur angemessen ist, während wissenschaftliche in Kategorien denkt, die dem fehlbaren menschlichen Intellekt entspringen.

In einem Gruppenabschnitt, wo es um unsere Ahnenfelder ging, habe ich die Ahnen der Zukunft thematisiert. In dieser Gruppe haben wir uns mit einer wissenschaftlichen und mehrfach bestätigten Theorie des amerikanischen Quantenphysikers John G. Cramer befasst. Es war vor allem er, der herausfand, dass es sogenannte Quantenwellen gibt (dazu zählen auch unsere Gedanken und Überzeugungen) und dass diese sich nicht nur räumlich ausbreiten, sondern auch zeitlich. Es gibt nach Cramer sogenannte normale Quantenwellen, die von der Vergangenheit in die Zukunft laufen. Es gibt überdies Energiewellen – sogenannte konjugierte, komplexe Wellen –, die sich von der Zukunft in die Vergangenheit ausbreiten!

Die Wellen, die in die Zukunft laufen, werden Angebotswellen genannt; die in die Vergangenheit zurücklaufenden Wellen werden als Echowellen bezeichnet. Treffen nun beide Wellen aufeinander – kommt uns also eine solche Echowelle aus der Zukunft entgegen und trifft auf eine von uns ausgesandte Angebotswelle –, moduliert eine Welle die andere und es entsteht als Produkt der beiden Wellen eine sogenannte Ereigniswahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis eintritt, resultiert laut Quantenphysik „aus dem Zusammentreffen einer Angebotswelle aus der Vergangenheit und einer ‚passenden’ Echowelle aus der Zukunft.“ [1]Vgl. Jörg Starkmuth, Die Entstehung der Realität, Leipzig: Goldmann Verlag 2010

Starkmuth vergleicht ein Zusammentreffen solcher Wellen mit dem Zusammentreffen von Absichtswellen, die bei einer Übertragung eines Faxes entstehen. Der Sender sendet die Botschaft und der Empfänger sendet die Bereitwilligkeit zu empfangen. „Auf ähnliche Weise kommunizieren (…) Vergangenheit und Zukunft miteinander und erschaffen beim Zusammentreffen passender Signale sozusagen auf ‚halber Strecke’ ein konkretes Ereignis hoher Wahrscheinlichkeit, das heißt, eine erlebte Gegenwart. Das bedeutet nichts anderes, als dass nicht nur die Vergangenheit die Zukunft beeinflusst, sondern auch die Zukunft die Vergangenheit!“

Unser Verstand tut sich schwer mit dieser Vorstellung, da Zeit für uns im Alltag immer noch als Linie von der Vergangenheit in die Zukunft erfahren wird. Durch die Hypothese Cramers wurde das oben Geschriebene nicht nur mehrfach bestätigt, sondern hat bestimmte Paradoxien innerhalb der Quantenphysik überhaupt erst erklärbar gemacht. Das bedeutet also: Die Zukunft ist nicht weniger real als die Vergangenheit. [2]Dass wir nur mit der linearen Zeit arbeiten, geschieht erst seit der Einführung des gregorianischen Kalenders und die künstliche Einteilung in 12 Monate des Jahres und 60 Minuten der Stunde. Diese Zeit ist technisch und daher sehr oberflächlich. Was Zeit eigentlich ist, hat eher etwas mit Synchronizitäten zu tun; Zeit ist die vierte Dimension, wie Einstein es formulierte, und hat eine qualitative, nicht-lineare Seite, die ihrem Wesen weitaus gerechter wird. Solche Ideen wurden uns von dem … mehr

Die Zukunft existiert bereits „irgendwo da draußen“. Ansonsten könnte sie keine Wellen in die Vergangenheit – also in unsere Gegenwart – zurückschicken. Auch unsere Zukunft existiert bereits – jetzt in dieser Sekunde. Und dennoch ist sie nicht vorbestimmt, denn wir haben die Möglichkeit, uns verschiedene Arten der Zukunft zu wählen. Genau genommen haben wir – gemäß neuer, wissenschaftlicher Erkenntnisse – erst dadurch, dass unsere (diversen) Zukunft(slinien) bereits besteht, die Möglichkeit, uns eine passende herauszusuchen. Wie soll das gehen, wenn sie doch bereits existiert? Ist sie dann nicht schon festgeschrieben? Nein, denn unsere Zukunft existiert zwar bereits, aber in unzähligen Variationen.

Heute sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse einen wesentlichen Schritt weiter als 1980, als John G. Cramer seine sensationellen Entdeckungen machte. Damals ging man noch von einer einzigen Realität(slinie) aus. Dementsprechend nahm man auch nur eine einzige mögliche Zukunft an. Inzwischen weiß man aber, dass es gleichzeitig verschiedene parallele Realitäten gibt. Man geht davon aus, dass die Zeit nicht so linear funktioniert, wie wir sie empfinden, sondern dass alles gleichzeitig geschieht.

Die Vergangenheit „geschieht“ jetzt in diesem Augenblick ebenso wie die Zukunft. Wenn wir eine Veränderung im Bewusstsein anstreben, dann befinden wir uns – genau wie die Seele der Welt – in der ewigen Gegenwart und können wählen.

Was bedeutet das für unser Klima? Die Kraft einer Veränderung im Bewusstsein ist unendlich viel größer als die von materiellen Veränderungen. Aber sie braucht auch eine andere Form der Disziplin. Materielle Veränderungen benötigen „nur“ Geld, Proteste, Untersuchungen – wir können unseren Reichtum und unseren Intellekt einsetzen, unsere Aggressionen und unsere Zeit. Das ist einfach. Das sind Wege, die wir kennen.

Es ist unser jetziger Bewusstseinsstand, der alle möglichen Ereignisse in (naher) Zukunft festlegt. Liegen die erwarteten Ereignisse in einer zeitlich weiter entfernten Zukunft, nimmt die Resonanzschärfe zwar ab; dennoch legt unser jetziger Bewusstseins(zu)stand eine sehr klare Tendenz vor. Wohlgemerkt: Es sind nicht unsere Handlungen, die eine wirkliche Veränderung hervorbringen, es sei denn, sie sind tatsächlich konform mit unserem Wissen, und zwar mit dem größtmöglichen Spektrum des Wissens, das wir erhalten können. Handlungswissen genügt einfach nicht, auch wenn die Fakten noch so objektiv erhoben wurden, auch wenn die Forscher noch so ehrlich bei der Sache sind. Es entsteht ein Weltbild, das auf der Blindheit gegenüber dem größten Teil der Weltseele und des Körpers der Erde beruht, das auf Reaktivität beruht und auf der Abgetrenntheit im Geist. Bevor wir die Erde und das Klima retten können, müssen wir zuerst unser eigenes Klima betrachten und harmonisieren, müssen wir Frieden schließen mit uns selbst als irdischen Wesen, mit dem Körper der Erde und dem Geist der Welt. Aber gleichzeitig können wir uns bereits mit der Macht unseres Bewusstseins verbünden und achtsam eine Zukunft wählen, die im Einklang mit der Seele der Welt ist.

Jeden Tag untersuchen wir als Wissenschaftler die Gesetze von Physik, Biologie, Chemie auf genaueste Weise, verhandeln wir als Politiker und Wirtschaftsführer über Krieg und Frieden, Nahrung und Ressourcen der Erde, während wir als Priester endlos die kompliziertesten sutras singen und als Techniker die neuesten Erfindungen zum Besten geben.

Doch bevor wir all das tun, warum erinnern wir uns nicht daran, wie man die Liebesbriefe liest, die uns Wind und Regen, Mond und Sterne senden, warum hören wir nicht das Lied des Waldes und den Gesang des Ozeans, warum treten wir nicht ein in die Liebesbeziehung mit der Seele der Welt?

Warum wachen wir nicht auf und erkennen, dass es unser Traum ist, der hier gelebt wird, unsere Gedanken, unsere Emotionen?

Warum wachen wir nicht auf und fangen an, bewusst den Traum zu träumen, der in Resonanz mit der Seele der Welt lebt, der unsere Liebesantwort an die Erde schreibt? Ist denn unser Wille so armselig, ist unsere Bequemlichkeit so mächtig, ist unsere Angst so groß?

Kann es wahr sein, dass Angst größer ist als Liebe? Sehen wir uns um – innen und außen, oben und unten – seien wir still und lauschen wir.

Wir wissen doch, was es braucht!

In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine stete und beständige Bewusstseinsarbeit und die Weite und Klarheit des vollen Spektrums unseres einzigartigen und doch umfassenden Potenzials!

Shunyata Mahat

Fußnoten

Fußnoten
1 Vgl. Jörg Starkmuth, Die Entstehung der Realität, Leipzig: Goldmann Verlag 2010
2 Dass wir nur mit der linearen Zeit arbeiten, geschieht erst seit der Einführung des gregorianischen Kalenders und die künstliche Einteilung in 12 Monate des Jahres und 60 Minuten der Stunde. Diese Zeit ist technisch und daher sehr oberflächlich. Was Zeit eigentlich ist, hat eher etwas mit Synchronizitäten zu tun; Zeit ist die vierte Dimension, wie Einstein es formulierte, und hat eine qualitative, nicht-lineare Seite, die ihrem Wesen weitaus gerechter wird. Solche Ideen wurden uns von dem Volk der Maya geschenkt, die sie aus dem Pool ihrer galaktischen Vorfahren erhielten. Cramers Hypothese knüpft, ohne dass er es vermutlich weiß, an das Wissen der Maya an.