18) Kollektiver Wandel, Rückkehr in die Voraufklärung oder innere Reise?

In Anbetracht der jüngsten Ereignisse (Wahl von Trump, Corona-Krise, Sandkastenpolitik in Korea und anderen Staaten, Wiederaufleben der fundamentalistischen und voraufklärerischen Kräfte sogar in Deutschland, angehende Orwell-Diktatur) ist es für mich sehr zweifelhaft geworden, ob wir uns als Menschheit kollektiv wirklich in einer Zeit des Wandels in die transpersonale, spirituelle Ebene befinden, wie viele spirituelle Lehrer*innen lange Zeit gehofft hatten. Vielmehr sieht es gerade so aus, dass wir froh sein müssen, wenn wir die Aufklärung retten und kollektiv etablieren können.

Ken Wilber sagte einmal, der Rationalismus sei nicht gescheitert, er sei noch nicht einmal ausprobiert worden. Nach meinem Verständnis spricht Wilber von der echten Geist- oder Vernunftebene, die von den Illusionen und den Mustern und Programmen des Verstandes überlagert wird. In diesem Imitat der Mentalebene befinden sich unsere Fixierungen, von denen wir gedacht werden, statt selbst zu denken. Bevor wir von der Realisierung transrationaler, transpersonaler, spiritueller Ebenen wirklich träumen können, müssen der Geist so klar und der Mentalkörper so etabliert sein, dass sie durch nichts in Frage gestellt werden können.

Bevor wir an einen kollektiven Wandel denken können, müssen die Errungenschaften des Geistes (buddhi) [1]Die buddhi ist unser Lichtdenken, also die Ebene, die der reinen Vernunft entspricht. Sie befindet sich topologisch dort, wo das Ich sich bereits zentriert hatte, weil es über seine durch Angst, Trennung oder Bequemlichkeit erzeugten Konzepte hinausgegangen ist. vollständig in uns etabliert worden sein.

Das ist keine leichte Arbeit. Sie ist jedoch spirituelle Arbeit per se. Leider folgen viele, selbst die, die einmal begonnen haben und ehedem einen Zug zur Wahrheit fühlten, irgendwann wieder dem Zug nach unten in die magisch-kollektive Ebene, ohne sie gemeistert zu haben. Wir alle haben das Potenzial, um den Sprung auf die nächste, eben die transpersonale und transrationale Ebene zu machen, um wahre Menschen zu werden, denn das ist die Voraussetzung für vollständige Selbstverwirklichung. Wir müssen als vollständige Menschen alle drei Reiche des SELBST entdecken, erschließen und erfahren. Wenn wir einen spirituellen Weg gehen – und der ist immer vertikal und beginnt mit der Realisierung des Seelensubstanzkörpers – führt er uns zunächst nach unten in das Reich der inneren Dämonen. Doch als Verwirklichung der Weltverbundenheit auf unsere jeweils ganz individuelle Weise ist dieser Abstieg Pflicht. Ihn nicht zu verfolgen, käme einer Weltflucht gleich. Seelensubstanzkörper und Bewusstseinskörper arbeiten dabei Hand in Hand. Die Auflösung unserer inneren Angst-Programme hilft dem Seelensubstanzkörper, sich klarer zu verankern und seinen Weg markanter zu profilieren, wozu auch unser Platz in der Gesellschaft und im sogenannten äußeren Leben gehört. Umgekehrt hilft diese Individuation wiederum dem Bewusstseinskörper, sich auf tiefere Bereiche des inneren Lebens einzulassen. Bevor wir jemals daran denken können, den Einheitskörper zu verwirklichen, müssen diese beiden im Gleichgewicht sein.

Bevor wir den Einheitskörper und damit universelle Wahrheit verwirklichen können, müssen Seelensubstanzkörper und Bewusstseinskörper sich im Gleichgewicht befinden.

„Können wir sagen, dass das Leben von einer Gruppe bewusster Menschen gelenkt wird, dass unsere Welt von bewussten, ganzheitlich denkenden Menschen regiert wird? Wo sind sie? Wer sind sie? Wir sehen genau das Gegenteil, nämlich dass wir von denen regiert und beraten werden, die am wenigsten bewusst sind, von denen, die am tiefsten schlafen.“ (G. I. Gurdjieff)

Es geht nicht darum, politische Aktivität auf physische Weise zu zeigen, nicht um Kampf, Rebellion oder Krieg im üblichen Sinn. Die Weltkriege haben gezeigt, dass Millionen schlafender Personen versucht haben, Millionen andere, ebenso schlafende Personen auszulöschen. 12.000 erwachte Menschen, die einen Großen Traum träumen, könnten die ganze Welt verändern. Wo sind sie? Wollen wir dazugehören? Wenn ja, müssen wir aufhören, uns selbst zu belügen, auch wenn wir die frechsten Lügen oft mit dem scheinbar freudvollsten Gleichmut entgegennehmen. Es ist umso schwieriger, den vertikalen Weg in unsere inneren Tiefen aufrichtig zu verfolgen, je mehr wir versuchen, unsere lichtvolle Vernunft auszuschalten oder uns einzureden, es gehe uns gut, nur weil wir mit Brot und Salat versorgt sind.

Natürlich geht es auch nicht darum, die Welt zu verändern, so wie es generell verstanden wird. Es geht aber auch nicht darum, sie nicht zu verändern und sich einfach meditativ-schlafend in den Himalaya zu begeben. Wenn wir einer von den 12.000 bewussten Menschen werden wollen, dann müssen wir in Krisenzeiten vor allem lernen, wie wir uns selbst wecken und dadurch verändern können. Nur mit der Hilfe von Selbsterforschung und dem Verständnis der Beziehung, die wir mit dem Universum und allem Leben haben, können wir zu einem höheren Verständnis dessen gelangen, was wir wissen müssten, um das ganze Spektrum des Wissens [2]sh. mein Artikel „Die Seele der Welt, der Körper der Erde und unser Klima“ aus Dezember 2019; hier in diesem Blog. zu begreifen und daraus abgeleitet zu handeln. Heute handeln viele unter der Knute der Einschüchterung und der eigenen Angst. Geht es uns nicht genauso wie den Politikern und Wissenschaftlern? Wissen sie denn wirklich etwas? Worauf baut ihr Wissen auf, was ist das Fundament? Es basiert auf Sinneswahrnehmung und Statistik, auf Schlüssen aus dem Verstand und angstbesetzter Zukunftsschau, die ohne das geistige Auge durchgeführt wird.

Wird unser Handeln von Einschüchterung, Angst und Bequemlichkeit bestimmt? Oder werden wir von echtem Wissen geleitet, das auf mehr als auf Sinneswahrnehmung, Statistik und konzeptueller angstbesetzter Zukunftsschau besteht?

Wissen von der Wirklichkeit kann nur durch spirituelle Selbst- und Welterforschung gewonnen werden und wie ich oben schon schrieb, das ist kein leichter Weg. Ich persönlich kenne nur einen Politiker, der so etwas einmal im Ansatz begonnen hatte und dann leider (für unseren Staat) oder Gott sei Dank (für ihn selbst) an einer Intrige scheiterte. Der Weg, den man gehen muss, um andere wirklich führen zu können, ist ein Weg des Verstehens. Was wir aber gerade primär vorfinden, sind Handeln und Reden, ohne dass jemand verstanden hat, was geschieht.

Sind wir nicht durch die gegenwärtige Krise aufgerufen, zumindest die „Rationalität“ (unser Licht-denken) und die Verdienste der Aufklärung (vor allem unserer eigenen spirituellen Aufklärung) hochzuhalten und im Zweifelsfall lieber ein gutes vernunftbetontes Argument zu bringen als ein zweifelhaftes pseudo-spirituelles oder – noch schlimmer – ein zweifelhaftes wissenschaftliches? Und sind wir nicht ebenso aufgerufen, über die banalen Gewöhnlichkeiten unseres Lebens hinauszugehen und die Programme und Muster, die uns an so ein Leben binden, zu hinterfragen? Wir sollten uns weder abwenden noch nette kleine Geschichten in das System hineinweben, um darin Trost und Bequemlichkeit zu finden. Wollen wir wirklich einer unhinterfragten Einschüchterung durch große Systeme glauben, statt uns selbst mit den Kräften, die wir uns bereits erschlossen haben, einzubringen? Spirituelle und absolute Freiheit [3] …wie sie in der Linie der Höchsten Freiheit (svātantrya-paraṃparā) im Trishula-Zentrum von mir gelehrt wird … finden wir unterwegs auf der inneren Reise, die der äußeren voran-gehen oder sie zumindest begleiten sollte. Im von mir begründeten Essenz-Schamanismus® können wir Hilfe finden, wenn wir uns um Freiheit innerhalb einer immer enger werdenden (politischen) Gesellschaft bemühen. Eine wundervolle Hilfe ist dabei die Reise mit dem Windpferd, das sowohl im tibe-tischen Tantra als auch im malaysischen Schamanismus lungta heißt. Rlung ist ein subtiler Energiefluss, der – will man ihn einem Element zuordnen – die Ebene des luftigen Geistkörpers repräsentiert. Doch es handelt sich dabei nicht um die Luft, die wir atmen oder jene in unserem Bauch; rlung geht sehr viel tiefer. Es ist wie ein Pferd (lungta) und der disziplinierte Geist (ta) kann es reiten. Es ist dem universellen prāṇa gleich – der Lebensenergie, die den gesamten beseelten Kosmos atmet.

Eine schamanische Reise zum Windpferd – der Geisteskraft des kosmischen Atems – kann uns zeigen, wie wir über den persönlichen Atem zum kosmischen Atem aufsteigen und darüber den Geist erfrischen, leeren und lehren können.

Unsere persönliche Lebenskraft ist wie ein Pferd aus der großen Herde der kosmischen Wildpferde. Wenn mit dem Pferd etwas nicht stimmt, wird der Reiter nicht in der Lage sein, es angemessen zu führen, und das Pferd wird nicht in der Lage sein, den Reiter sicher zu tragen. Die generelle Aufgabe des Windpferdes im malaysischen Schamanismus und der Traumzeit der Senoi ist es, dem Körper zu ausgewogener Bewegung zu verhelfen, der Energie mittels Ein- und Ausatmung zum Gleichgewicht, der Psyche zu innerem Wachstum und dem Geist zu einer Klärung und Ausdehnung ins Bewusstsein.

Wir können auf der Reise zum und mit dem Windpferd nicht nur unsere eigenen Verstandesbereiche reinigen, um den Geist zu läutern und ihn zu rechtem Verständnis zu disziplinieren. Mit einem Windpferd, das seinen Platz im Herzzentrum eingenommen hat und zum großen Himmelspferd Tsa Lungta geworden ist, können wir darüber hinaus den vertikalen Weg umkehren: „Wer aufsteigen will, muss zuerst hinabsteigen“, ist eine Aussage von Sigmund Freud, aber wer wirklich hinabgestiegen ist, um sich selbst zu erforschen, hat einen klaren Geist und darf jetzt hinaufsteigen. Tsa Lung heißt auf Sanskrit nāḍī-vāyu und auf Deutsch der Große Wind in unserem (wichtigsten) Energiekanal; ein anderer Name dafür ist śūnyatā-bindu (Punkt inmitten der Leerheit).

Wer den Mut hatte, den vertikalen Weg hinabzusteigen, seinen inneren Dämonen zu begegnen und seine absichernden Konzepte zu verlieren, erhält als Geschenk die Möglichkeit, dem Großen Wind zu begegnen und hinaufzusteigen.

Mit Tsa Lungta, dem Großen Himmelswindpferd, kommunizieren wir direkt von jenem Platz inmitten des Universums aus, der auch als schöpferischer Ort bekannt ist, wo die ganze heilige Architektur, die yantras, erschaffen werden, die die Muster unserer Geistwirklichkeit repräsentieren. Wenn wir unseren Geist durch die schamanische Reise zum und dann mit dem Windpferd in der Leerheit etabliert haben, können wir dualistische Missverständnisse und Fehlinterpretationen loslassen und für eine Weile in der non-dualen Klarheit ruhen, die wir in diesem weiten Raum finden. Dort unseren Platz zu bestimmen, gibt uns die Gelegenheit, eine etwas objektivere Sicht auf die Dinge zu haben; dieser Raum gibt sein Wissen aber nur preis, wenn wir offen und leer sind und die Stärke besitzen, uns der Wildheit und dem Herzensgeist des Windpferdes mutig und konzeptfrei hinzugeben.

Das Große Himmelswindpferd kann uns zum Mittelpunkt der Leerheit tragen, wo wir das yantra der Welt sehen, wie es sich gerade gestaltet. Wenn wir konzeptfrei, mutig und offen sind, ist das Geschenk des Herzensgeistes ein klarer Blick auf das universelle Muster und seine (möglichen) Überlagerungen.

Durch eine innere Reise wie die, die ich hier vorschlage, ist es möglich, aus dem Glaubensdebakel auszusteigen, das eine große Krise wie die, die wir zurzeit konfrontieren, mit sich bringt. Wir müssen nicht mehr mit zweifelhaften pseudo-spirituellen oder ebenso zweifelhaften wissenschaftlichen Konzepten argumentieren, wir müssen weder Angst noch Zorn zu emotionalen Vehikeln machen, um unsere Meinung zu vertreten, auch wenn unsere Gefühle gesehen werden dürfen und ein Ja auch zu unserem Nein vorhanden sein darf. Wir können anfangen, aus dem vollen Spektrum des Wissens zu schöpfen und den Plan der Schöpfung zu sehen, der – nicht nur – in der derzeitigen Krise sichtbar wird. Und dazu braucht es vor allem die Offenheit des Bewusstseins und die Bereitwilligkeit, uns damit zu zeigen.

Ich möchte mit einem Gedicht von Georges I. Gurdjieff enden, den viele von euch schon vom Enneagramm kennen und den diejenigen, die hinter das dritte Portal blicken werden, noch genauer kennenlernen werden:

„Vertrauen auf Bewusstsein ist Freiheit

Vertrauen auf Emotionen ist Schwäche

Vertrauen auf den Körper ist Dummheit.

Liebe zum Bewusstsein erweckt eine gleichartige Antwort

Liebe zu den Emotionen erweckt das Gegenteil

Liebe zum Körper macht von Typ und Polarität abhängig.

Hoffnung auf Bewusstsein ist Stärke

Hoffnung auf Emotionen ist Sklaverei

Hoffnung auf den Körper ist Krankheit.“

In diesem Sinne wünsche ich euch allen Freiheit, Liebe und Stärke.

Shunyata Mahat

Fußnoten

Fußnoten
1 Die buddhi ist unser Lichtdenken, also die Ebene, die der reinen Vernunft entspricht. Sie befindet sich topologisch dort, wo das Ich sich bereits zentriert hatte, weil es über seine durch Angst, Trennung oder Bequemlichkeit erzeugten Konzepte hinausgegangen ist.
2 sh. mein Artikel „Die Seele der Welt, der Körper der Erde und unser Klima“ aus Dezember 2019; hier in diesem Blog.
3 …wie sie in der Linie der Höchsten Freiheit (svātantrya-paraṃparā) im Trishula-Zentrum von mir gelehrt wird …