
Für das von den Indern so genannten „Dunkle Zeitalter“, das kali yuga, in dem wir uns seit geraumer Zeit befinden und noch eine lange Zeit befinden werden, wurde geweissagt, dass es viele falsche Propheten geben werde und viele falsche HeilerInnen und LehrerInnen sich selbst als wahrhaftig und echt anpreisen würden. Auch unter den Methoden und Theorien beziehungsweise „Lehren“ dieses Zeitalters sollten viele zu finden sein, die aus dem Verstand einzelner Personen formuliert werden würden, anstatt – wie die wahre Überlieferung – aus dem Ewigen Einen zu stammen. Diesen Umstand haben wir wohl alle schon bemerkt.
Als ich begann, mich mit Bewusstseinszuständen „jenseits der Schwelle“ jenes Zustandes, in dem sich Normalsterbliche täglich befinden (nämlich des Alltagstrans) zu beschäftigen, lag das daran, dass ich selbst von solch merkwürdigen Phänomenen heimgesucht wurde, dass mir gar keine andere Wahl blieb, als diese zu erforschen, wenn ich nicht mein Leben gänzlich unbewusst leben wollte. Natürlich begaben sich daraufhin die Normalsterblichen, allen voran meine damaligen Freunde, Nachbarn, ja sogar die PsychologieprofessorInnen an der Uni, in den Zustand von distanzierten „Beobachtern“, in dem sie zwischen Angst und Verurteilung hin und her schwankten. Auch diese Art von Erfahrung dürfte den meisten von uns bekannt sein.
Im Aufbruch der späten 1970er und frühen 1980er Jahre nannte man alle Themen, die sich nicht in normalsterbliche Kategorien einordnen ließen, „esoterisch“. Dafür gab es auch eine wunderbare Erklärung – ich habe sie in meinem ersten veröffentlichten Buch „In die Tiefe wachsen“, das 1991 im Hermann Bauer Verlag in Freiburg erschien, auf seriöse Weise darzustellen versucht.
Der Begriff „Esoterik“ leitet sich ab aus dem griechischen Wort „esoteros“, was soviel heißt wie „der innere (Kreis)“. Gemeint war in alter Zeit ein Kreis von Eingeweihten, die sich dem Mysterium der Wahrheit verpflichtet hatten.
Schon in alten babylonisch-sumerischen Texten, die vom Hervorgehen der Welt aus dem ‚nisch’ (Name, Logos) des Himmels und der Erde, aus dem reinen Geist, sprechen, heißt es: „Das weiß der Wissende, der Wissende teilt es dem Wissenden mit; der Nicht-Wissende soll es nicht erfahren, denn es ist das Geheimnis des Himmels und der Erde.“ Dieses Mysterium wird auch genannt „das Geheimnis des Oberen und des Unteren“, weil alles irdische Sein und Geschehen seine Entsprechung im himmlischen Sein und Geschehen hat.
Der esoterische Sprachgebrauch machte aus diesem hermetischen Gesetz die Kurzaussage: „Wie oben, so unten.“ Das Gesetz nenne ich ‚hermetisch’, weil es erstmals überliefert wurde als Aussage des großen ägyptischen Priesters und Eingeweihten Hermes Trismegistos, des Dreimalgroßen. Von ihm stammen auch die Zitate.
Weil die Kurzaussage „wie oben, so unten“ zum Motto des New Age wurde, waren New Age und Esoterik bald in einem Topf. Dabei stellte sich jedoch heraus, dass die einstige wirkliche Bedeutung von „Esoterik“ weder begriffen noch ihr Motto verinnerlicht worden war.
Das New Age war ursprünglich aus einer Aufbruchstimmung heraus entstanden – der Begriff wurde zum Kennzeichen einer Bewegung, in der alte Strukturen und verstaubte Konzepte vor allem in Psychologie und Pädagogik „losgelassen“ wurden. Dann wandte man sich jenseitigen Erfahrungen zu. In ernsthafter Absicht geschah das jedoch nur von wenigen mutigen Menschen – die meisten anderen erwiesen sich nach kurzer Zeit als begeisterte Mitläufer, die einfach ihre alten Ideen durch neue ersetzten. So wurde das New Age zum Zuhause der Mentalphantasten.
Man spielte damit und mit seiner Gleichsetzung mit der ursprünglichen Esoterik und dieses Spiel wurde immer oberflächlicher. Letzten Endes diente es nur noch dem Verstand, der sich auf alles einen Reim machen und über alles Nächte lang philosophieren konnte. Dieser Verstand hielt sich gleichzeitig in arroganter Weise für wissend.
Aber das Reimen und Philosophieren entbehrte einiger wichtiger, wenn nicht DER wichtigsten Bedingungen, um noch wahrhaft und im hermetischen Sinn esoterisch zu sein:
- es ließ sich nicht erfahren,
- es hatte den Bezug zur Tiefe verloren
- und es zeigte keine Demut in dem Sinn, dass es das Geheimnis des Wesens und des Wesentlichen nicht achtete.
Damit war auch der Zugang zu seiner authentischen Wahrheit verbaut – und nun begann die suggestive, manipulative, ‚positiv denkende’ Gemeinschaft des esoterischen New Age damit, abweichend von der erleuchteten Perspektive des Trismegistos, der ein Eingeweihter war, ihr oberflächliches, von rosaroten Jahresendfestflügelfiguren, klebrigen Besetzungsbildern und magisch-manipulativen Besprechungsformeln bevölkertes Phantasieuniversum auszubreiten. Hier schien schon allzu deutlich eine Grenze auf: die zwischen den Hinguckern und den Wegguckern – und bald schieden sich beide voneinander.
Da die Weggucker in der Überzahl waren, erbten sie sozusagen den Begriff „esoterisch“. Jetzt wurde dieses Wort nicht mehr nur für Normalsterbliche zum Schimpfwort, sondern es wurde auch für alle Hingucker zum Zeichen dafür, dass man Vorsicht walten lassen musste, um nicht in ein Konzept gezogen zu werden, das nicht der Wahrheit entspricht, sondern lediglich unangenehme oder langweilige Lebenssituationen schön reden möchte. Auch das morphogenetische Feld der „Esoterik“ hat unter der Veroberflächlichung extrem gelitten – es ruft inzwischen sogar bei jenen aufgestellte Nackenhaare hervor, die sich dem ursprünglichen Anliegen des Esoterischen tatsächlich nah und verpflichtet fühlten.
Die Hingucker verpflichteten sich von hier aus einer Wahrheit, die sich jenseits von Phantastereien auch dem „Alltag“ stellen wollte, der Schmerz, Projektion, Entbehrung und Selbstbetrug zu enthalten schien. Sie benutzten daraufhin eher den Begriff „spirituell“ für ihre Lebenseinstellung und ihre Arbeit.
Der Begriff „spirituell“ beschreibt nicht so sehr einen Kreis von Ausgewählten, die sich vom äußeren Kreis Unerwählter abgrenzen, sondern eher eine Ebene der Realisierung, die jenseits der horizontalen Weltsicht des Materiellen und Psychischen (wobei hier emotionale und mentale Ebenen umfasst sind) das Große Geheimnis ehrt und erfährt. Das schließt die Ahnung ein, dass ein erster Schritt auf dem Boden der spirituellen Vertikalen eigentlich erst der Anfang eines wahren Lebens ist, das sich der transpersonalen und unpersönlichen Wahrheit jenseits des Egos verpflichtet – dem Selbst.
Mit der Zeit wurden dann die Worte „esoterisch“ und „spirituell“ immer öfter synonym benutzt – jedoch habe ich dies meistens nur bei Menschen erlebt, die nicht wirklich spirituell waren (im Sinne der oben gegebenen Definition), sondern sich für mich eher als „esoterisch“ erwiesen (im Sinne einer veränderten Variante, die mit dem Ursprung der Esoterik nach Hermes nichts mehr zu tun hat). Die Weggucker waren und sind keine schlechteren Menschen! Sie sollten auch von uns niemals verurteilt werden, wenn sie lieber den Bildern der Hoffnung und den Projektionen von Wunschphantasien folgen. Es ist so deutlich, dass das Weggucken in den meisten Fällen einer Konditionierung folgt, die wir biologisch und psychologisch über Generationen immer weiter pflegten, und deren Ursache wir karmisch aufgrund von großer spiritueller Verblendung schon vor vielen Zehntausenden von Inkarnationen legten.
Offenbar kam niemand darauf, dass die verblendete Art des Umgangs mit den alten Lehren vor allem auf Angst basierte – dass es Angst war, die solches Handeln, solches Reimen und Philosophieren motivierte. Nur die wenigsten stellten sich dieser Angst – und wurden spirituell. Viele aber gaben sich mit blutleeren Theorien und verstiegenen Hoffnungen, die sie aus dem Motto „wie oben, so unten“ ableiteten, zufrieden – und blieben esoterisch. Die meisten aber waren einfach naiv-unwissend oder – um es etwas positiver zu formulieren – sie waren „gutgläubig“. Sie übernahmen aufgrund einer emotional-mentalen Faszination des Neuen Meinungen als Wahrheiten an und gaben sie ungeprüft und unerforscht weiter.
Wie gefährlich das werden kann, das will ich an einem kleinen Beispiel verdeutlichen: vor vielen Jahren hatte ich eine Klientin, die sich bei mir in den ersten Grad des REIKI KU DO® einweihen ließ. Danach ging es ihr unglaublich gut, sie fühlte sich klar und gesund. Zum zweiten Grad meldete sie sich jedoch nicht an. Nach zirka einem halben Jahr bat sie mich um eine Einzelstunde. In dieser erzählte sie mir, sie habe den Preis für den zweiten Grad gescheut und sich von einer sehr lieben Freundin überreden lassen, bei dieser eine Einweihung in den zweiten Grad des („normalen“ Takata-) Reiki zu durchlaufen. Das habe insgesamt nur die Hälfte gekostet. Aber kurz danach sei es ihr sehr schlecht gegangen. Eine schwere psychische Krankheit, die seit einiger Zeit überwunden gewesen zu sein schien, war wieder aufgetaucht und hatte sich schlimmer als jemals vorher manifestiert. Es handelte sich um eine Bulimia nervosa, eine Ess-Brecht-Sucht.
Ich untersuchte die junge Frau und musste feststellen, dass durch das Darüberlegen des zweiten („normalen“!) Reiki-Grades über den ersten REIKI KU DO®-Grad ein völliges Abschneiden geschehen war. [1]So etwas kann geschehen, weil eine fortgeschrittenere Ebene des Feinstofflichen immer eine darunterliegende überschreibt, selbst wenn die darunterliegende Ebene ein höher qualifizierteres Mittel angewendet hatte. Umgekehrt ist es aber so, dass auf einer gleichen feinstofflichen Ebene immer das höher qualifiziertere Mittel das niedrigere überschreibt. Durch den ersten REIKI KU DO®-Grad – dort werden auch Hand- und Fuß-cakras sowie das Herz eingeweiht – hatte sich ein Fluss, ein Lebendigsein, eine Verbundenheit bei der jungen Frau eingestellt, die ihre unteren und oberen Körper- und Energiehälften miteinander verbunden hatte. Durch diese Integration konnten alte Wunden zu heilen beginnen.
In der zweiten Einweihung im „normalen“ Reiki waren weder die Hand-, Fuß- und Herzeinweihungen gegeben worden noch hatte die Frau das integrierende „Symbol“ des REIKI KU DO® erhalten. Schlimmer noch: durch das Darüberlegen war die ursprüngliche Einweihung gelöscht gewesen – und die nicht ganz „astreinen“ Rituale des inzwischen esoterisch gewordenen Takata-Reiki hatten die schon lange vor dem Eintritt ins Reiki überwunden geglaubte Krankheit wieder aufleben lassen.
Die Einweiherin, die meine Klientin überredet hatte, hatte keinerlei böse Absichten gehabt. Sie wollte einfach nur ausprobieren, wie sie sich als neue „Reiki-Meisterin“ machte und wollte ihrer Freundin ein wenig Geld ersparen. Sie war von ihren „Reiki-Meistern“, die sich für große Esoteriker hielten, so instruiert worden, wie diese es gelernt hatten. Wo war der Ursprung?
Es ist schwierig, herauszufinden, wer mit dem esoterischen Billig-Reiki einmal angefangen hatte. Sicherlich hat Frau Takata einen nicht unerheblichen Anteil daran [2]Siehe mein Buch „Der Feuer-Flug der Reiki-Schamanin“, Raben-Verlag-Göttingen 1999 , aber sie ist es nicht allein.
Wir alle sind es.
Als ich das „normale“ Reiki empfing, dauerte es nicht lange und ich wurde hochgradig misstrauisch. Das ist eine lange Geschichte und sie ist bereits in meinem Buch erzählt worden. Letzten Endes führte mich meine Wahrheitsliebe dazu, dass ich die Kraft des Reiki selbst erforschte – und ich fand heraus, dass es um etwas ganz Anderes dabei ging als um das, was uns die esoterischen Weggucker erzählten.
Natürlich ist nicht jeder sofort in der Lage, eine so tiefgreifende Methode und Energie selbst zu erforschen – aber dann gebietet es die Verantwortung dem Leben und der Wahrheit gegenüber, dass wir sie nicht anrühren, dass wir sie vor allem nicht weitergeben und uns dabei vielleicht noch mächtig oder als Wissende fühlen!
Die junge Frau mit der Essstörung musste schließlich noch den Preis bezahlen – und im Endeffekt zahlte sie dann das 1½-Fache –, da sie den zweiten REIKI KU DO®-Grad bei mir nachmachte, um wieder in den Zustand von Integration und Lebendigsein zu kommen – und weil sie erstmalig begriffen hatte, dass eine unvergleichlich höhere Qualität mit großem Einsatz und hoher energetischer Qualifikation derjenigen verbunden ist, die diese Arbeit weitergeben, und dass solche Qualität ihren Preis hat.
Nicht umsonst sagte Buddha zu seinen SchülerInnen, sie sollten ihm nicht einfach glauben, sondern ES für sich selbst realisieren! Das gilt nicht nur für die letzte Realisierung, sondern natürlich für alle Inhalte des Bewusstseins. Wenn wir nicht selbst realisieren, was wir weitergeben, sind wir nichts weiter als Papageien. Vielleicht sogar eher Papageien-Imitate. Doch selbst esoterische Papageien-Imitate können das Mysterium des Lebens nicht weitergeben und auch niemanden an es heranführen.
Inzwischen hat auch der Begriff „spirituell“ einiges erlitten. In meiner mehr als 25-jährigen Erfahrung als Psychotherapeutin, schamanische Heilerin und spirituelle Lehrerin sind mir sehr viele Menschen begegnet, die von sich den Eindruck hatten, dass sie „spirituell“ waren, weil sie von Engeln redeten und das Motto „wie oben, so unten“ anwenden zu können glaubten. Sie beschäftigten sich vielleicht mit Inhalten der New-Age-Ideologie dergestalt, dass sie das Persönliche verleugneten oder vernachlässigten. Doch wenn wir von uns behaupten, dass wir „vollkommen bedürfnislos“ seien, weil wir nun „das Licht kennen“, wenn wir glauben, in dieser Gesellschaft nichts mehr verloren zu haben, weil sie nicht „heilig“ genug sei, wenn wir uns für erleuchtet halten, weil wir ein „Lichtarbeiter-Wochenendseminar“ belegt haben und uns nun um unsere emotionalen Strukturen nicht mehr kümmern müssen, dann haben wir die Schwelle noch nicht einmal berührt.
Wenn wir versuchen – vielleicht aus der schon erwähnten Angst heraus –, die Schwierigkeiten und Konflikte des vermeintlichen Widerspruchs zwischen persönlich, überpersönlich und unpersönlich zu übergehen, endet das oft in unglaubhaftem esoterischem Getue, das als spirituell bezeichnet wird, verbunden mit der Verleugnung der inneren Bedürfnisse und äußeren Alltagsumstände.
Ein seriöser spiritueller Therapeut schreibt dazu: „Das New Age schmückt sich gewöhnlich mit einer Mischung aus transpersonaler Phantasie und wirklicher Erfahrung und verführt Menschen zu glauben, dass es darum ginge, kontinuierlich die Visionen des Transpersonalen im Alltag zu realisieren.“ [3]Vermutlich war es Ken Wilber, aber leider finde ich das Zitat nicht wieder.
Wenn ich Menschen begegnet bin, die dieser Ideologie etwas abgewinnen konnten, war mein Eindruck in ALLEN Fällen, dass sie eine Blutleere, eine Scheinheiligkeit und/oder eine starke Verarmung ihres persönlichen Gefühlslebens aufwiesen. Sehr häufig machte es auf mich auch den Anschein, als wollte man mit einer vermeintlich spirituellen Übung narzisstischen Bedürfnissen dienen, indem außerordentliche Erfahrungen gemacht werden und dadurch die Phantasie entsteht, jemand „Besonderes“ zu sein. Es kommt sogar recht oft vor, dass spirituelle Übungen als Widerstand gegen oder Flucht vor den Herausforderungen der eigenen Geschichte benutzt werden.
Die einzige ernsthafte Möglichkeit, ein spirituelles Leben zu führen, hat meiner Erfahrung nach nichts mit Verleugnung oder „Überwindung“ zu tun. Sie besteht vielmehr in der mutigen Bereitwilligkeit, ALLES, was unser Leben aufsteigen lässt, kompromisslos zu konfrontieren, zu umarmen und DA SEIN zu lassen – was übrigens gleichbedeutend ist mit „Loslassen“.
Immer wieder höre ich das Konzept, ein spirituelles Leben bestehe darin, dass WIR unser „Ego auflösen“ oder „daran arbeiten“ müssten – doch wer will so etwas tun? Wollen wir nicht nur etwas „los sein“, was uns scheinbar an der Phantasie unseres Weges hindert? Dann benutzen wir dazu esoterische Werkzeuge – wo doch Möhrenschälen genügen würde, um wahrhaftig zu leben.
Mir fällt die Geschichte eines vermeintlich spirituellen (an Wahrheit interessierten) „Satsang-Lehrers“ ein, den ich hier als den „Goldenen“ bezeichnen will. Ein Schüler kam zu ihm auf das Kissen und berichtete davon, dass es ihm immer dann schlecht ginge, wenn er die Tür zu seinem Büro öffnete.
„Warum?“ wollte der Lehrer wissen. Er werde dann daran erinnert, dass er so vielen Menschen Geld schulde und ihm das so viel Arbeit mache, das Geld aufzutreiben und es zurückzuzahlen.
Was war wohl die Antwort des „spirituellen Lehrers“? Man glaubt es kaum; er sagte: „Lass die Tür doch zu!“ Und im weiteren Gespräch riet er dem Schüler allen Ernstes, das Geld eben nicht zurückzuzahlen. Es sei ja doch alles nur Illusion. Er müsse jetzt lernen, „loszulassen“ und verstehen, dass es „nur eine Geschichte“ sei, mit der er sich da von seiner Meditation abhalte. Dieser Lehrer hat in Deutschland übrigens mehr als 2000 Anhänger. [4]Zur Zeit des Schreibens dieses Artikels. Ist ja auch praktisch, sein Vermeidungsverhalten als höhere Wahrheit zu verkaufen.
Eine mir bekannte seriöse Heilpraktikerin besuchte einmal die Esoterik-Messe in Göttingen-Weende. Sie hatte das Pech, dass ihr Stand sich genau neben dem eines esoterischen Heilers befand – nennen wir ihn den „Weißen“. Dieser verdiente sein Geld auf originelle Weise: Er hatte ein 100 x 100 cm großes Foto von sich auf eine Leinwand gespannt, die er für 1000,– € vier Wochen lang vermietete. Das Bild zeigte ihn im weißen Gewand, mit weißer Mütze und einer in gebender Geste ausgestreckten rechten Hand, die Linke zum Himmel erhoben. Wer es vier Wochen bei sich in der Wohnung habe, so der „Heiler“, es täglich ansehe und sich vor ihm verneige, verliere alle Krankheiten. Nach vier Wochen müsse das Bild allerdings wieder zum „Aufladen“ zu ihm zurückgebracht werden. Ebenso praktisch: wir müssen uns nur einmal täglich verneigen, dann brauchen wir uns nicht mehr mit unseren eigenen Themen zu beschäftigen. Wie viele Dumme dieser Mann gefunden hat, mag ich gar nicht sagen.
Das, worauf „Esoterik“ im Sinne des Hermes einmal hinweisen wollte, hat sich lange überholt. Wahre Eingeweihte schätzen das immerwährende Geheimnis, das unendliche Mysterium, aus dem alles Leben stammt. Ihr Wissen ist tief und profund, aber sie stellen sich nicht allwissend wie der „Goldene“ oder allherrlich und allheilend wie der „Weiße“ dar. Sie haben große Entschlossenheit und ein offenes Herz, während sie voller Klarheit auf die Dinge sowohl des „spirituellen“ wie auch des „alltäglichen“ Lebens schauen – in Wahrheit sehen sie das Spirituelle in allem Alltäglichen – und dies ist auch eine der tieferen Bedeutungen des Mottos „wie oben, so unten“. Wenn wir genau hinschauen, begreifen wir, dass ihr Handeln niemals persönlich ist, sondern von einer unpersönlichen, tiefen Stille herrührt, eben aus dem Mysterium der unendlichen, unkennbaren Wahrheit, die sie als ihr eigenes Selbst realisiert haben. Sie kennen allerdings ihre Grenzen im „Alltag“ und agieren ihre Verstrickungen nicht aus. Daher können wir nicht nur ihrer Wärme und Klarheit, sondern sogar ihrer Leidenschaft und ihrem Zorn vertrauen!
Der Begriff des „Esoterischen“ wurde nach meinem Gefühl zu häufig im falschen Kontext des New Age gebraucht, als dass wir ihn für wirkliche Eingeweihte noch anwenden können. Wie ich oben schon schrieb, ist er fast zum Schimpfwort geworden.
Aufgrund dieser Misere sind viele Menschen, denen eine authentische Selbsterforschung zum Lebensweg geworden ist, dazu übergegangen, den Begriff des „Spirituellen“ zu benutzen. Auch hierüber sind natürlich mittlerweile viele falsche und missverständliche Konzepte unterwegs. Und wer weiß – vielleicht ist er in 10 Jahren ebenso zum Schimpfwort geworden. Aber noch können wir das verhindern.
Begriffe sind nicht einfach „nur Worte“ – wie viele Esoteriker uns erzählen. Begriffe sind ein Teil unseres menschlichen Bewusstseins. Persönliches Bewusstsein und Sprache haben sich zeitgleich entwickelt – und jedes Mal, wenn menschliches Bewusstsein sich verändert oder ausdehnt, werden neue Begriffe geprägt. Der Grund dafür liegt darin, dass Absolutes Bewusstsein und die Höchste Sprache – die eigentlich reine Weisheit ist (auf Sanskrit heißt sie „parā“) – eins sind. Wenn wir den Begriff, den wir benutzen, schützen möchten, dann tun wir das, weil wir das, was wir im Bewusstsein damit verbinden, wertschätzen. Ein Begriff kann genauso ein morphogenetisches Feld haben wie jede andere Kraft. Das morphogenetische Feld von „Spiritualität“ ist noch recht rein, aber viel Unwissen, viele unbewusst bedürftige Narzissmustendenzen, viele Machtansprüche und Manipulationsversuche greifen es an. Dagegen stehen allerdings heute Kräfte, die sich nicht mehr so einfach rationalisieren lassen: die heilsame Präsenz des spirituellen Herzens der Erde – Arunācala –, die tiefe Stille des Heiligen Śri Ramana Maharṣi vom Arunācala, die aufbrechende Kraft der Erde, die sich – noch – in Katastrophen und Krisen zeigt, aber in sich die Tendenz zur Befreiung trägt, und all jene LehrerInnen und MeisterInnen, die den Weg zur wahren Selbstergründung und Freiheit weisen – der in unseren Spirituellen Herzen liegt.
In dem Moment, in dem ein Wesen WIRKLICH BEREIT ist, sich der (zunächst relativen und dann auch der Absoluten) Wahrheit, die dieses Herz in sich birgt, entschlossen und konsequent zu stellen, hört das Interesse für Esoterik oder New Age schlagartig auf. Dann gibt es keine Bindung mehr an das Lustprinzip, das nur für „ich“, „mich“, „mein“ einsteht, sondern wir erarbeiten uns und erhalten nach und nach eine Reife, die uns die Möglichkeit gibt, nicht mehr unsere Ängste und Schatten nach außen zu projizieren, sondern ihnen im Inneren zu begegnen. Wir werden reif für eine Transformative Innere Arbeit – jenseits von herkömmlicher Therapie, jenseits von esoterischen Konzepten. Wir werden reif für uns Selbst.
Im Namen dieser Reife und Schönheit, die selbstverständlich jenseits von Begriffen ist, möchte ich jedes Wesen darin unterstützen, sich selbst genau zu prüfen, ob DIE WAHRHEIT, die nur eine ist, in unserem Leben einen angemessenen Ausdruck finden kann, ein reines Gefäß, ein klares Zuhause, das uns lebendig und still zugleich macht.
Es war Yeshua von Judäa, der sagte, DIE WAHRHEIT werde uns frei machen. Diese Freiheit schließt ein unbedingtes Glück ein, ein tiefes Einverstandensein mit dem Leben und seinen Facetten, und sie führt in einen Einklang, der weiß und begreift, was jetzt und hier stimmig ist. Ob es sich dabei um Esoterisches oder Exoterisches handelt, mag ununtersucht bleiben – denn was ist der Unterschied? Aber ein solcher Einklang ist wahrhaftig spirituell – er ehrt das Mysterium des Lebens in allem Leben, er ist dieses Leben. Und darum kennt er die Masken und blutleeren Imitate und weiß, was er nicht ist.
In Liebe und Achtung vor der Wahrheit des Einen,
in tiefem Mitgefühl für die Masken und das Leid der Verleugnung,
in Unterstützung des spirituellen Feldes des wahren Mysteriums!
Shunyata Mahat
(Iti Śivaḥ)
Fußnoten
↑1 | So etwas kann geschehen, weil eine fortgeschrittenere Ebene des Feinstofflichen immer eine darunterliegende überschreibt, selbst wenn die darunterliegende Ebene ein höher qualifizierteres Mittel angewendet hatte. Umgekehrt ist es aber so, dass auf einer gleichen feinstofflichen Ebene immer das höher qualifiziertere Mittel das niedrigere überschreibt. |
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↑2 | Siehe mein Buch „Der Feuer-Flug der Reiki-Schamanin“, Raben-Verlag-Göttingen 1999 |
↑3 | Vermutlich war es Ken Wilber, aber leider finde ich das Zitat nicht wieder. |
↑4 | Zur Zeit des Schreibens dieses Artikels. |